Das Gehirn braucht genügend Ruhephasen

Haiger, 11.11.2010.
Neben dem Hausaufgabenheft liegt das aufgeklappte Notebook, alle drei Minuten macht es "Pling", weil wieder eine ICQ-Botschaft angekommen ist, im Hintergrund läuft "Lady gaga", und auch das Handy meldet in regelmäßigen Abständen eine neue SMS. Lernen ist in einem solchen Umfeld – das leider die Realität in vielen deutschen Kinderzimmern ist – nicht ganz einfach. Das weiß auch der Diplom-Sportlehrer und Motopädagoge Peter Pastuch, der jetzt auf Einladung der Johann- Textor-Schule Haiger vor Lehrern und der Elternschaft über "Lernen in rasenden, flimmernden und lärmenden Zeiten" sprach.

Sein Credo lässt sich einfach zusammenfassen: "Nur wenn das Gehirn ausreichende Ruhephasen hat, kann es Gelerntes auch speichern." Am Vormittag referierte der Diplom-Sportlehrer vor dem Kollegium der Gesamtschule über die Frage, wie Lernvor- gänge verbessert werden können – und was Lernfortschritte be- oder gar verhindert.

Er sprach fesselnd, informativ und kurzweilig und ließ die Pädagogen auch aktiv an seinem Referat teilhaben. Nach Ansicht des Motopädagogen lernt das Gehirn in drei Schritten. Der erste Schritt, das Wahrnehmen, erfolge natürlich in der Schule. Der Lehrstoff werde von den Schülern gehört, gesehen und – je nachdem wie einfallsreich der Unterricht gestaltet werde – "auch gefühlt". Danach folge der Schritt der "Verarbeitung im Gehirn". "Das Wahrgenommene wird sozusagen im Gehirn bewertet, ob es wichtig für das Kind ist oder nicht", sagte Pastuch. Im letzten Schritt, der während der Entspannungszeiten des Gehirns stattfinde, folge die Phase der Speicherung der als wichtig eingestuften Informationen – gleichzeitig werde Unwichtiges gelöscht. Diese Phase findet hauptsächlich in der Nacht, während des Schlafens, statt", sagte der Referent.
Um Informationen langfristig im Gehirn zu speichern, also zu "lernen", brauche das Gehirn so genannte "sensorische Ruhephasen". Eine der Ursachen für die heute sehr häufig auftretenden schulischen Probleme der Schüler sieht Pastuch darin, dass der dritte Schritt des Lernens, die Speicherung, nicht funktioniere. "Die moderne und häufig unstrukturierte Lebensweise bietet dem Gehirn oft nicht mehr die Zeit, sich zu entspannen. Früher vorhandene unbewusste Ruhephasen für das Gehirn – wie zum Beispiel der Fußweg zur Schule, gemeinsame Mahlzeiten oder ausreichende Nachtruhe – entfallen heute nur allzu oft", konstatierte Pastuch. Kinder würden oft mit dem Auto von einem Termin zum nächsten gehetzt, und familiäre Rituale wie gemeinsame Mahlzeiten blieben aufgrund von Zeitdruck auf der Strecke.
Ferner werde das Spielen im Freien zunehmend von Fernseher und PC verdrängt, "die auch dafür genutzt werden, um eventuelle Langeweile, die für das Gehirn als reizfreie Zeit durchaus sensorische Entspannung bedeuten kann, zu vermeiden". Diese elektronischen Medien setzen aber das kindliche Gehirn nochmehr unter "Spannung", so dass das "überreizte" Gehirn schließlich überfordert sei, Informationen aus der Schule zu speichern. Ohne eine erfolgreiche dritte Stufe des Lernens seien Kinder nicht in der Lage, den Schulstoff später aktiv abrufen zu können. "Kinder erkennen nicht, wenn ihr Leben von Reizen überflutet wird", erklärte Pastuch, der seinen Vortrag mit vielen Beispielen aus seiner eigenen Erziehungspraxis veranschaulichte.

An dieser Stelle seien die Eltern gefordert. Sie müssten dafür sorgen, dass das kindliche Gehirn genügend Entspannungsphasen bekomme. Eine noch so gute Vermittlung in der Schule könne nur zum Erfolg führen, wenn von Elternseite für einen strukturierten Tagesablauf gesorgt werde, in dem sich Arbeit und Pausen sinnvoll ergänzen. "Das Gehirn muss reizfreie Zeiten haben", forderte der Referent und stellte einige Spiele vor, die dabei helfen können, den Kopf frei zu bekommen. Er riet seinen Zuhörern, solche aktiven Erholungspausen für das Gehirn auch mit seinen Kindern gemeinsam zu erleben.

"Dieser Vortrag hat uns sehr viele wichtige Impulse gegeben", resümierte Anette Fritsch, die Pädagogische Leiterin der Johann-Textor-Schule, und war sich in ihrer Bilanz mit Hartmut Jaeger, dem Vorsitzenden des Schulelternbeirates, einig. Auch er lobte die interessanten Denkansätze, die Pastuch in die Schulfamilie getragen habe.