Generationentreffen in Haiger

Haiger, 18.05.2011.
Anna Kretschmer war begeistert. "Die Schule ist wunderschön. Kein Vergleich zu dem, was was wir früher hatten", befand die Bewohnerin des Haigerer Alten- und Pflegeheims Ströhmann gestern bei einem Besuch in der benachbarten Johann-Textor-Schule. Die Schule hatte eigens für die betagten Nachbarn aus der Donsbacher Straße einen "Tag der offenen Tür" angeboten - hierbei präsentierte sich die Schule einmal mehr als guter Gastgeber.

Flexibel, spontan und herzlich boten Pädagogen und Schüler ihren Gästen Einblicke in unterschiedliche Bereiche des Schulalltags. Die alten Menschen staunten nicht schlecht, wie sich das Schulgebäude, aber auch der Alltag in einer solchen Lerneinrichtung in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben.

Die Initiative zu dem Besuch ging von der Klasse 10R1 und ihrer Religionslehrerin Sabine Graben aus. Im Rahmen des Religionskurses werden mindestens einmal im Monat die Bewohner des Heimes besucht. Hier spielen oder basteln die 21 Schüler gemeinsam mit den Bewohnern. Man lernt sich kennen, macht gemeinsam Musik und kommt ins Gespräch - für beide Seiten eine tolle Sache. Gespräche über Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg sind keine Seltenheit. Als Jung und Alt sich über die Kindheitserlebnisse austauschten, entstand die Idee, die Senioren in die Schule einzuladen. Der Besuch war der Höhe- und Endpunkt der gemeinsamen Zeit, denn die Realschüler haben nun - nach der Mittleren Reife - ihre Schullaufbahn in Haiger beendet. Die Teenager der JTS nahmen sich viel Zeit, um den äußerst interessierten Senioren ihre Schule zu zeigen.Morgens um zehn Uhr wurden die Bewohner, die Interesse an dem Besuch gezeigt hatten, auf ihren Stationen abgeholt und zur benachbarten Johann-Textor-Schule begleitet. Teilweise fuhren die Teenager die Senioren im Rollstuhl oder leiteten sie am Arm. Nach nur wenigen Metern war der erste Haltepunkt erreicht: der Spielplatz der Förderstufe. Die Senioren lauschten den Erklärungen von Schülerin Esther Stefanie und bewunderten die Kletterwand. In der Aula des Förderstufen-Gebäudds führten Mädchen der Klasse 6F2 einen Tanz auf. Musiklehrer Jürgen Poggel, der auch in der Klasse 10R1 unterrichtet, hatte sich zu dieser spontanen Aktion entschlossen. Die kurze Strecke vom Förderstufengebäude zum Pausenhof der Mittelstufe genossen die Senioren sehr, denn überall winkten ihnen freundliche Schüler zu.

Im Gebäude der Real- und Gymnasialklassen fand sich ebenerdig ein gerade nicht benutzter Klassenraum. Hier erhielten die alten Menschen einen Einblick in den Schulalltag, wozu selbstverständlich heute ein "Beamer" und ein Computer gehören. Auch den Computerraum durften die Senioren in Augenschein nehmen. So erlebten den gerade laufenden Unterricht und ließen sich von Schüler Paul Stuckert erklären, wie man im Internet recherchiert. Herzlich begrüßt wurden die Gäste auch von Direktor Dr. Gerald Lohwasser, der sich erfreut über das Generationentreffen und den Austausch zwischen Schülern und Senioren äußerte.
Im "Herzstück der Schule", der Mediothek, staunten einige der älteren Leute nicht schlecht über die Angebotsvielfalt an Büchern, DVDs und anderen Medien. Das hatte nichts mit den Verhältnissen gemein, an die sich die Besucher noch aus ihrer eigenen Kinderzeit erinnern konnten. "Ihr wisst gar nicht, was Ihr hier geboten kriegt" oder "Wenn wir ein paar Jahre jünger wären, dann könnten wir nochmal ..." waren typische Reaktionen der Senioren.Ein Bewohner des Altenheims ging einst selbst in die Schule am Hofacker - gestern zeigte ihm ein Schüler, wie es in den Gebäuden heute aussieht.

Anette Fritsch, pädagogische Leiterin der Schule, begleitete Schüler und Gäste in die Mensa, wo erst einmal eifrig die Essenspläne studiertwurden. Ann-Kathrin Moss vom Mensa-Service-Team antwortete kompetent auf die Fragen der Gäste. Im Hauptschulgebäude angekommen, kamen bei Hans Peter Eichmann - Bewohner des Altenheims Ströhmann und seit seinem fünften Lebensjahr in Haiger wohnend -    Erinnerungen hoch. "Herr Weber war früher mein Klassenlehrer", erklärte der Senior und zeigte den aktuellen Schülern seinen ehemaligen Klassenraum.

Nachdem die Jugendlichen ihre Gäste wieder zum Haus Ströhmann zurückgebracht und sich verabschiedet hatten - wobei sich die Senioren bei ihren Begleitern herzlich bedankten - unterhielten sich die Senioren noch angeregt über das Erlebte und Gesehene. Sie freuen sich sehr über die Abwechslung, die die jungen Menschen ins Seniorenheim bringen. Die Aktion, die Lehrerin Sabine Graben seit fünf Jahren im Rahmen des Religionsunterrichtes anbietet, ist eine Erfolgsgeschichte. Die Schüler beteiligen sich gerne an dem Angebot und sammeln wichtige Erfahrungen für ihr Leben.

"Hier kann jede Generation von der anderen lernen", ist die Lehrerin überzeugt und berichtet auch von ungewöhnlichen Situationen, die entstehen können. So haben beispielsweise die Schüler beim Besuch einer Wohngruppe einen epileptischen Anfall eines Senioren miterlebt. "Wie man mit solchen Extremsituationen umgeht, war eine wichtige Erfahrung für die Schüler", erklärt Sabine Graben.
Rudi Siegfried aus ihrer Klasse hat sich mit einigen Senioren regelrecht angefreundet und trifft sich ab und zu mit ihnen zu einem Plausch in der Stadt. "Ich finde es sehr interessant, wenn die älteren Leute von früher und aus ihrer Schulzeit berichten", sagt der Teenager. Eine Schülerin, die vor fünf Jahren an der Premiere dieses Unterrichtsprojekts teilnahm, besucht heute noch die Senioren im Haus Ströhmann. Da ist offensichtlich eine Freundschaft fürs Leben entstanden.
(Mit freundlicher Genehmigung des Haigerer Kuriers. Text und Fotos: Ute Jung.)