StartArchivArchiv 2008Viel zu viel Druck

Viel zu viel Druck

Zwar gibt es auch Eltern, die das G8-Modell unterstützen, an der Textor-Schule sind sie allerdings klar in der Minderheit. Viele Mütter und Väter berichten von gestressten und lustlosen Kindern, denen angesichts hoher schulischer Belastungen - 11-jährige haben bereits mindestens 31 Wochenstunden - kaum noch Zeit für Hobbys oder Besuche von Freunden bleibt.
In der Klasse 6G3 zum Beispiel sprachen sich alle Eltern dafür aus, das G8-Experiment sofort zu beenden. "Viele Eltern sprachen mich an, und das Meinungsbild war schnell eindeutig", erklärt Elternbeirat Arno Jung aus Allendorf. Er organisierte eine Unterschriftenaktion in der Klasse - und alle Familien stimmten für die G9-Version. "Die Belastung für unsere Kinder ist zu groß. Sie werden zu früh unter Stress gesetzt", erklärt Jung, der den Lehrern daran keine Schuld gibt. "Das Problem liegt im System", meint der Allendorfer und nennt als Beispiel die Tatsache, dass die Sechstklässler gerade ein Physikbuch erhalten haben, das laut Titel eindeutig für die gymnasialen Jahrgangsstufen 7 und 8 gedacht ist. Entsprechend hoch sei das Niveau, das im Unterricht erkennbar sei. "Warum wohl hat unsere Klasse nach dem fünften Schuljahr sieben Schüler verloren, die den Anforderungen offenbar nicht gewachsen waren?", fragt Jung. Er hofft, dass sich die Schulkonferenz für eine Rückkehr zum G9-Modell entscheidet. "Ob das Abitur nach 12 oder nach 13 Jahren abgelegt wird, ist völlig zweitrangig", ist der Vater überzeugt.
Auch die Lehrer der Textor, schule haben eine klare Sicht zu G8. Als es im Juni darum ging, zum G9-Modell zurückzukehren, stimmten die rund 80 Pädagogen in ihrer Konferenz einstimmig für diesen Weg. Auch die Schulkonferenz - der Vertreter der Schule, Eltern und ein Schülervertreter angehören votierte einstimmig dafür, "weitestgehend" zu G9 zurückzukehren. Was im Klartext bedeuten würde, dass nicht nur die neuen Fünftklässler, sondern auch die aktuellen Klassen 6 und 7 wenn irgend möglich zu G9 "zurückgeführt" werden sollen. Als im Juni die Entscheidung fiel, die neuen Fünftklässler nach dem G9-Modell zu unterrichten, erhielt auch Direktor Dr. Gerald Lohwasser ausschließlich positive Reaktionen. "Die Eltern haben diese Entscheidung begrüßt. Ich habe keine kritische Stimme gehört", berichtete der Schulleiter seinerzeit.
Die Lehrerschaft wäre ebenfalls froh, wenn in Sachen G8 noch die Reißleine gezogen werden könnte. Die Unzufriedenheit ist groß, viele Pädagogen ärgern sich darüber, ein Konzept umsetzen zu müssen, hinter dem sie aus pädagogischen Gründen nicht stehen können. "G8 bedeutet, dass Stoffe im Eiltempo durchgepaukt werden müssen. Für vertiefende Arbeit mit den Schülern bleibt keine Zeit mehr", ärgert sich ein Lehrer. Daran habe auch die angebliche "Straffung" und "Entzerrung" des Lehrplans, den das Hessische Kultusministerium im Juni versprochen hatte, nichts geändert: "Davon haben wir nichts bemerkt!"
Das G8-Modell wird in nahezu allen deutschen Bundesländern angewandt. Lediglich Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz wollen das Prinzip im kommenden Jahr einführen. Das rheinland-pfälzische Kultusministerium hat allerdings entschieden, dass dieses besonders zeitaufwendige Projekt nur an Ganztagsschulen durchgezogen werden darf.
(Haigerer Kurier , 14.08.2008, Ralf-Stefan Triesch)

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