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Hauptschule als Chance

Haiger, 22.02.2013

  Das gemeinsame Arbeiten an Projekten sorgt in der 9H2, mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten, für eine gelungene und selbstverständliche Integration der Migranten.Schule kann kreativ, spannend und abwechslungsreich sein. Das beweisen die Abschlussarbeiten, die die Teenager der 9 H2 der Johann-Textor-Schule unter Anleitung ihres Lehrers Alexander Schüler erstellt haben.Die Hauptschüler haben Enormes geleistet und ihre Arbeiten einer Jury präsentiert. Originell, informativ und handwerklich wurden die frei gewählten Projekte umgesetzt, und so entstand zum Beispiel eine detailgetreue Nachbildung der Gefängnisinsel "Alcatraz". Andre Becker, Robin Weitzel und Tim Peter haben den kalifornischen Knast aus unterschiedlichen Materialien nachgebaut.

Wie regenerative Energien ein Haus mit Strom versorgen, zeigt das Projekt von Berkan Coban und Björn Hermann. Das Modell eines Hauses mit Solarkollektor und Windmühle mit funktionierenden Rotatoren demonstriert, wie die Versorgung mit natürlichem Strom funktioniert.

"Ist Wasserkraft ökologisch sinnvoll?" Diese Fragestellung verneinen Kevin Müller, Chirom Buhl und Janyk Diehl eindeutig. Ihr Modell vom Wasserkraftwerk Lahnstein funktioniert hervorragend  aber die Recherchen des Trios haben ergeben, dass Aale und Lachse qualvoll in den Turbinen der Kraftwerke zu Tode kommen. "Auch der Lebensraum der Bisamratten und weiterer Kleintieren wird durch diese Art der Stromerzeugung bedroht", weiß Janyk Diehl zu berichten. Das Modell des funktionierenden MiniWasserkraftwerkes machte sogar den Hessischen Rundfunk auf die Haigerer Hauptschüler aufmerksam.

Die Projekte "Alcatraz" und "Eiffelturm" stammen von den Neuntklässlern der 9H2 (stehend), Loreana Zdziarstek, Robin Weitzel, Tim Peter und Asya Dogan.Narisara Artsamart, Loreana Zdziarstek und Asya Dogan haben die kreative Idee des Pariser Eiffelturms, den sie aus Elementen mehrerer Baukästen zusammensetzten, eindrucksvoll umgesetzt. Da sitzen die Verstrebungen beim "kleinen" Eiffelturm an den gleichen Stellen wie beim Original.

"Die Schüler haben viel Eigeninitiative gezeigt," freut sich Klassenlehrer Schüler. Bereits seit dem siebten Schuljahr lernen seine Schützlinge im Fach "Projektorientiertes Lernen", wie ein Projekt umgesetzt und präsentiert wird. In jedem Halbjahr hatten sie 16 Wochen Zeit, um in Heimarbeit ein Projekt ihrer Wahl zu erarbeiten und es anschließend im Unterricht eine Stunde lang vorzustellen.

Das erforderte auch Mehrarbeit für den Klassenlehrer. Sein Ziel: Die Schüler fit für das Berufsleben zu machen. Das Ziel ist erreicht, denn 14 der 20 Schüler seiner Klasse haben bereits einen Ausbildungsplatz. Ein enorm hoher Prozentsatz, auf den Schüler und Lehrer zu Recht stolz sind.

"Die Mittlere Reife erhalten die Neuntklässler nach qualifiziertem, leicht erreichbarem Hauptschulabschluss (Notendurchschnitt 3, nur eine 4 in den Hauptfächern und eine 3 im Fach Englisch in der 9. Klasse) und erfolgreichem Abschluss einer Lehre quasi automatisch", erklärt Schüler. Oft sei es Eltern wichtig, dass ihre Kinder die Realschule absolvieren, um gute Berufschancen zu haben. "Ein guter Durchschnitt im Zeugnis eines Hauptschülers kommt aber besser an als ein schlechtes Realschulzeugnis", weiß der Pädagoge aus Erfahrung  und die Erfolgsquote seiner Schüler gibt ihm recht. Eloquente Hauptschüler, die handwerkliches Geschick beweisen, sind bei heimischen Unternehmen begehrt. Da "schnappt" einer seiner Schüler den Gymnasiasten und Realschülern die beliebte Stelle als Mechatroniker weg. Ein engagiertes Mädchen bekommt gleich mehrere Lehrstellen-Angebote in ihrem Berufswunsch Arzthelferin.

Auch das Bewerben wurde gemeinsam eingeübt. "Die Schüler werden zielgerichtet auf das Einstellungsgespräch vorbereitet", sagt der Lehrer. Wie das Leben funktioniert, welche Versicherungen jeder braucht und viele berufsvorbereitende Informationen vermittelt er den Neuntklässlern. Einige der Hauptschüler haben durch zusätzliche freiwillige Praktika und Samstagsarbeit bereits ins Berufsleben hineingeschnuppert. Immer wieder wird der Vortrag von Präsentationen geübt und das macht die Schüler selbstbewusst.

"Hauptschule ist keine Endstation, sondern ein Weg mit vielen Perspektiven", bricht Schüler eine Lanze für den vielgescholtenen Schulzweig. Als Sprecher der Vereinigung Schule und Wirtschaft des Dillkreises weiß er, worauf es in Unternehmen ankommt: "Ein Plus für Hauptschüler ist, dass sie nach der Ausbildung häufig im Beruf und in der Firma bleiben, während andere die Lehre nur als Sprungbrett sehen."
Die Elternschaft unterstützt das zusätzliche Engagement ihrer Kinder. Sie besorgen Material und chauffieren die Jugendlichen zu Vorbereitungstreffen mit Mitschülern. Zweimal in einem Halbjahr finden Elternabende statt, bei welchen wichtige Informationen ausgetauscht werden.

Ein weiteres Fundament, auf dem sich ein erfolgreiches Berufsleben aufbauen lässt, ist das Hauptschul-Projekt, das von Sascha Großer und Alexander Schüler in Haiger ins Leben gerufen wurde. Im Rahmen des Wahlpflichtunterrichts und der Arbeitslehre im neunten Schuljahr wird montags die Schule für vier Stunden zum Arbeitsplatz. Orientieren können sich die Jugendlichen in verschiedenen Bereichen wie etwa Hoch und Tiefbau, Elektronik, Schreinern, Kochen, Frisieren. Hier engagieren sich auch Meister, Rentner, Selbstständige und Mitglieder unterschiedlicher Innungen und Prüfungsausschüsse, um den jungen Menschen den Weg in das Berufsleben zu erleichtern. So konnte die Schule beispielsweise für den Malerkurs Günther Schmidt, den ehemaligen Chef der Firma "Lug und Döll" gewinnen, der sich mit Begeisterung einbringt.

Bei der praktischen Arbeit wird manchem Schüler rasch klar, weshalb beispielsweise der "Satz des Pythagoras" im Unterricht so intensiv vermittelt wurde. Und genau so sollte es auch sein, wenn nicht für die Schule, sondern fürs Leben gelernt wird.

(Mit freundlicher Genehmigung des Haigerer Kuriers, 22.02.2013, Text und Fotos: Ute Jung.)

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